Werkstätten: Klischees und Realität


12. April 2017
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Lichtsäulen stehen über der Stadt, während der frühe Morgenhimmel am Horizont orange zu glühen beginnt. Schuhe klicken über den Gehsteig, vorbei an unseren Toren. Unscheinbare Fabrikgebäude mit unscheinbarer Beschilderung, unscheinbaren Lieferwagen und einem unscheinbaren Boxanhänger in Gelb, der eingekeilt zwischen einer weiß getünchten Wand und einer Laderampe steht.

Vor der dunklen Eingangstür steht eine Stele in Grau mit der Aufschrift „Werkstatt für Menschen mit Behinderung“. Spätestens hier werden die meisten Menschen beginnen, zu assoziieren. Bilder von „wer“ hier arbeitet und „warum“ und von dem Kram, den „die“ wohl hier herstellen.

Durch die Fenster sieht man Menschen, dort im ersten Stock, in Silhouetten erleuchtet von den gelben Neonröhren. Aus Stahl geformte Fahrradständer stehen vor dem Gebäude, Fahrräder sind an ihnen aufgereiht. Schnatternde Stimmen klingen aus dem Unterstand der Raucher, gegenüber vom Eingang.

Innen herrscht reges Treiben, die Werkstatt wacht auf. Leute stehen um ihre Werktische, besprechen die Pläne des Tages. Farben werden abgemischt, Stoffe und Filzmatten geschnitten und gestanzt. Hölzer werden sortiert und für die Verarbeitung aus dem Lager geholt. Im dunklen Eingang zur Metallwerkstatt am Ende des Hofes glüht die blaue Flamme eines Schweißgerätes. Oben fliegen Finger über Tastaturen, organisieren den täglichen Betriebsablauf. Unter dem Dach probt das Theater, dazwischen präparieren Keramik und Theaterplastik Ton und Pappmaché.

Eine Werkstatt von vielen in Berlin. Weder die Menschen noch das was sie hier Produzieren erfüllen die Klischees.

In meiner Schule war der Besuch einer Behindertenwerkstatt Teil des festen Programms. Dieser eine Besuch hat auch meine ursprüngliche Perspektive geformt. Banale, endlose Kleinstarbeiten, wie Kabelbäume binden, Briefe verkleben und Tücher falten. Rigorose Anleitung ohne Entscheidungsfreiraum und Selbstverantwortung schweben den Gedanken vor. In der Realität gibt es diese Werkstätten, aber selbst was diese angeht ist das Bild oft überspitzt.

Das Ziel der Werkstatt ist tatsächlich, die Menschen im Idealfall auf den ersten Arbeitsmarkt zurück zu bringen. Ohne das Erlernen von Verantwortung und Initiative ist das nicht möglich. Ich habe gelernt, dass Werkstätten Leistung fordern, aber gleichzeitig einen geschützten Rahmen, angepasst an den jeweiligen Betroffenen bieten. Das ist gut so, denn der Anspruch der Kunden ist hoch. Von Laptoptaschen und Schlüsselbändern bis zu Fahrradständern, Tischgedecken und ganzen Dekoeinichtungen für renommierte Charityevents muss alles tadellos sein.

Die Anleiter übernehmen die Organisation, die Arbeit selber kommt von den sogenannten Teilnehmern, den Menschen mit Behinderung. Die Arbeit verlangt Flexibilität, besonders wenn jeder Auftrag immer ein kleines bisschen an extra Knowhow und Technik verlangt und man immer dazu lernen muss. Probleme wollen gelöst werden. Genau betrachtet das komplette Gegenteil von dem, was mein ursprüngliches Bild der Werkstatt war.

Die Sonne neigt sich dem Horizont, LKW rollen über den Hof, Bauteile werden verladen. Die ersten gehen nach Hause, es ist halb drei. Trotz der hohen Anforderungen an die Arbeit stellt sich die Werkstatt auf die persönlichen Umstände ihrer Mitarbeiter ein. Die Gesundheit geht vor und hat Priorität vor jedem betrieblichen Ablauf. Trotzdem produziert die Werkstatt einzigartige Dinge – auf den Kunden gerichtet, kreativ und im Rahmen des möglichen hochflexibel.

Die letzten gehen um vier. Der Hof ist leer, als das letzte Sonnenlicht die Dächer streift. Ein Taubenschwarm wirbelt durch den blauen Himmel.

 

Autor: Benedikt Höpfner, VIA Werkstätten, Digitale Medien

 








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