Warum die Werkstatt das Beste ist, was mir je passiert ist


09. Oktober 2017
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„Das Gebäude sieht aus wie ein Knast.“ Diesen Eindruck hatte ich vor rund elf Jahren, als ich das erste Mal das Gebäude meiner zukünftigen Werkstatt betrat. An den Fenstern im Erdgeschoss sind Gitterstäbe. Heute weiß ich, dass in dem Gebäude früher ein Finanzamt war.

 

In einer Werkstatt für behinderte Menschen arbeiten zu sollen, war für mich schon ein ziemlicher Schock. Als gelernte IT-Systemkauffrau mit Abschluss fühlte ich mich schon ziemlich fehl am Platz. Ich habe eine Borderline Persönlichkeitsstörung, damit ist man doch nicht behindert. „Was soll ich hier? Bin ich hier wirklich richtig?“, habe ich mich damals gefragt. Aus heutiger Sicht kann ich nur sagen, die Werkstatt ist das Beste was mir je passiert ist – abgesehen von meinem Ehemann, der seit über zehn Jahren nun an meiner Seite ist. Im Laufe der Jahre habe ich mich persönlich weiterentwickeln können. Ich konnte mein Selbstvertrauen steigern und habe meine Liebe zur Beschäftigtenvertretung gefunden.

 

Einige Jahre lang nannte ich den IT-Bereich in der Werkstatt meine berufliche Heimat. Seit Mitte 2015 arbeite ich in der digitalen Aktenarchivierung. Aber die Arbeit, in der ich wirklich aufgehe, ist die Arbeit des Werkstattrates. Als Werkstattrat mache ich mich für die Rechte der Beschäftigten stark – ähnlich wie Betriebsräte in großen Unternehmen. Ich bin gegen Ungerechtigkeiten und für das Ernstnehmen der Menschen mit Behinderungen. Weil ich immer noch das Gefühl habe, dass wir nicht ernst genommen werden, kämpfen wir mit den anderen Werkstatträten für bessere Lebensbedingungen und Anerkennung. Wir wünschen uns keine finanziellen Nachteile für Beschäftigte in den Werkstätten. Das sind Themen, die mich bewegen und für die ich mich einsetze.

 

Als 2. Vorsitzende der Berliner Werkstatträte arbeite ich eng mit vier weiteren Vorstandsmitgliedern zusammen. Ganz nach dem Motto der Berliner Werkstatträte „Entscheidungen nur mit uns, nicht über uns“. In enger Zusammenarbeit haben die Werkstatträte bisher schon einiges erreichen können. Darauf bin ich stolz, denn es war ein sehr langer Kampf gegen Windmühlen. Gerade in größeren Werkstätten gibt es jetzt mehr Werkstatträte. Hierbei ist eine bessere Vertretung und Entlastung möglich. Ebenfalls sind die Fortbildungstage für Werkstatträte von zehn auf fünfzehn Tage erhöht worden. Eine direkte Auswirkung auf alle Beschäftigten der Werkstätten hatte die gesetzliche Einführung der Mitbestimmung und eine finanzielle Verbesserung durch die Aufstockung des AFöG (Arbeitsförderungsgeld).

 

Doch es gibt noch sehr viel zu tun! Das Projekt Schichtwechsel ist auch ein Projekt, an dem die Berliner Werkstatträte im großen Umfang mitarbeiten. Ich freue mich sehr auf meinen eigenen Schichtwechsel. Gerne würde ich einmal einen Tag in die Arbeit eines Betriebsrats, von Gewerkschaften oder einer Sozialpolitikerin reinschnuppern. Es wäre toll, wenn dies beim Aktionstag Schichtwechsel klappen könnte.

 

AUTORIN:

Jacqueline Neubert

Digitale Aktenarchivierung

SPEKTRUM NetzWerk

Seit 11 Jahren dabei

 

„Einzigartig an mir ist mein Gerechtigkeitssinn.“



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